Weniger Party, mehr Nachdenken
Behutsam verändert und etwas wehmütig präsentieren sich die Pet Shop Boys auf ihrer neuen LP „Nonetheless“.
Es ist schon wirklich lange her, da war Pop eine, nein: die Jugendkultur. Heute ist eine seiner potentiellen – und in etlichen Werken, von Pulps „This Is Hardcore“ bis zu David Bowies „Blackstar“, auch eindrucksvoll exerzierten – Stärken, das Altern intelligent zu begleiten.
Die Pet Shop Boys haben noch die erstgenannte Ära erlebt und befinden sich jetzt mitten im zweiten Stadium. Auch so lässt sich ersehen, wie lange sich das erfolgreichste britische Pop-Duo aller Zeiten schon „an der Spitze hält“, wie das die Kollegen vom Boulevard so einzigartig elegant formulieren: Seit Mitte der 80er Jahre, als ihre Karriere mit den Zeilen „Sometimes you’re better off dead“ startete.
Altern…
Jedenfalls reflektiert einer der schönsten Songs des neuen, 15. PSBs-Albums „Nonetheless“ die Gelassenheit, die mit Altern gemeinhin konnotiert wird. „Why am I dancing when I’m all alone? / Maybe I can celebrate on my own“, singt Neil Tennant, Vokalist und Texter der Pet Shop Boys, mit melodischer Grandezza über einem breitwandig interpunktierten, zwischen House und Techno angelegten – eben – Dance-Beat.
Alleinsein ist wiederholte Male Thema auf „Nonetheless“. Der Opener „Loneliness“ behandelt sie als eine Art schwarzes Loch der Psyche, den Lebensfluch „that’s haunting your life“ und die Ursache von Fehlverhalten und -entscheidungen. Misslichen Willfährnissen und depressiven Verstimmungen wird – nicht unbedingt ein neuer Ansatz – Liebe als Heilmittel entgegengehalten.
Die Pet Shop Boys, für die es noch nie ein gröberes Problem dargestellt hat, das trivialste Thema des Pop maximal sophisticated zu kontextualisieren, beschreiben diesen Lösungsansatz in „Love Is The Law“ indes wie ein Studienfach, für das ordentlich gestrebert werden muss: „From wiser lips / I’ve heard it said / ,Love is a profession / As old as time / Watch it and learn it / Study it and earn it“. Zu einer ähnlichen Conclusio kommt – wenn auch auf etwas einfacheren Wegen – „The Secret of Happiness“.
… Rückschau …
Dass ein größerer Teil von „Nonetheless“ im Zeichen der Rückschau steht, muss beim Alter der Akteure – Sänger Tennant wird heuer 70, Keyboarder Chris Lowe 65 – nicht groß verwundern. Eher vielleicht, wie ungewohnt offen Tennant seine Adoleszenz und Sozialisation als homosexueller junger Mann in „New London Boy“ thematisiert. Ob sich der Titel etwa auf Bowies beispielhaften frühen Song „The London Boys“ bezieht, der ja auch eine Geschichte von Sozialisationsdruck erzählt, ist nicht sicher, aber jedenfalls nicht auszuschließen – Bowie wird im Text (neben Roxy Music) jedenfalls explizit erwähnt.
Es muss im Übrigen nicht immer nur die eigene Vergangenheit vor den Vorhang geholt werden: In „Dancing Star“ wird dem Leben des ebenfalls schwulen, 1993 an AIDS verstorbenen Ballett-Stars Rudolf Nurejew nachgespürt. „A New Bohemia“, ein weiterer genuiner Höhepunkt des Albums, trauert wiederum Les Petites Bon-Bons nach, einer aus Milwaukee stammenden, relativ kurzlebigen, aber aufsehenerregenden schwulen Konzept-Kunst- und Aktivisten-Gruppe der frühen 70er Jahre. Angelegt ist das Ganze als langsame, bewusst sentimental gestaltete, dramatisch orchestrierte Ballade.
Streicher ziehen sich, mehr oder weniger prominent arrangiert, durch die ganze Platte, für die James Ford (Depeche Mode, Arctic Monkees u.v.a.) an den Reglern saß. Allein das verändert die Anmutung der Musik, wiewohl diese noch immer von elektronischen Strukturen dominiert ist: Eine gewisse Wehmut, sowieso seit jeher latent an- und durchklingend, wird hier stärker spürbar. Ein Anhauch von Endlichkeit. Etwas weniger Party, etwas mehr Nachdenken.
… Willkommen, Heile Welt!
Nicht nur die Streicher indizieren, dass die Phase des strikt puristischen Elektronik-Formats, zu dem die Pet Shop Boys mit der von Stuart Price produzierten LP-Trilogie „Electric“ (2013), „Super“ (2016) und „Hotspot“ (2020) nach einem Ausflug zu Beatles-orientiertem organischem Pop zurückgekehrt waren, vorüber ist. Im ungemütlichen „Narcissus“, das wohl von Donald Trump oder seines rattenfängerischen Gleichen handelt, verschafft sich eine kräftige E-Gitarre Gehör. „The Schlager Hit Parade“ wird von einer gleichermaßen weichen wie fülligen akustischen Gitarre getragen und hätte gut auf „Release“ von 2002 gepasst.
Der Song geht übrigens genau um das, was der Titel indiziert: Den deutschen Schlager und die Heile Welt, die er verspricht. Ein Phänomen, das der halbpassabel deutschkundige Tennant, der mit Kollegen Lowe öfters einmal in Berlin Quartier bezieht, natürlich nicht ohne Ironie, aber auch nicht ohne liebevolle Sympathie betrachtet: „If you think you’re going down / In hazel, black and brown / You need some happy music / When winter comes around / Glühwein, Wurst and Sauerkraut.“
„Love Is The Law“ beschreibt Liebe wie ein Studienfach, für das ordentlich gestrebert werden muss.