Zwischen Wanzen und Welterklärern

Kleinen und großen Problemen gehen Bärchen und die Milchbubis auf ihrer zweiten regulären LP in 43 Jahren mit frischer Bierlaune zu Leibe.

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22. April 2024
Bärchen und die Milchbubis

Bärchen und die Milchbubis: Die Rückkehr des Bumm! (Tapete Records)

Überall Insektensterben – nicht in meinem Bett / Läuse, Flöhe, Wanzen / saug´n sich an mir fett.“ Bei wem „das Grauen im Bett erwacht, sobald das Licht ausgeht“ ist möglicherweise kein größeres Interesse an der Weltenlage zu erwarten. Und richtig: „Ich lese keine Zeitung / der Fernseher ist aus / eure schlechten Nachrichten kommen mir nicht ins Haus.“

Zu so viel Null-Bock auf globale Verwerfungen und Diskursfähigkeit passt Musik, die mit ein paar bierfröhlich heruntergebretterten Akkorden auskommt und alles ausblendet, was nach 1980 popmusikalisch die Welt bewegt hat – Funk, World Music, House, Acid Jazz, Dancefloor, Rave, Grunge, HipHop, Techno, Jungle, Drum & Bass, Raggamufffin, Dub, Raggaeton und was nicht nicht noch alles. „Die Rückkehr des Bumm!“ heißt denn auch treffend diese Platte, die das regressive, innovationsmüde Element in uns anspricht: Ein Sich-Gehen-Lassen für 33 Minuten.

NDW-Slogan: „Jung kaputt spart Altersheime“

Anfang der 80er Jahre verkörperten Bärchen und die Milchbubis aus Hannover alles, was man an der Neuen Deutschen Welle (NDW) mögen und hassen konnte: Jugendliches Ungestüm zwischen Punk und Power-Pop, griffige Slogans wie „Jung kaputt spart Altersheime“, aber bisweilen schon auch richtig blöde Texte („schaut euch meine Stiefel an, ich bin der der gut treten kann / diese Kraft und dieser Schwung / Treten hält den Körper jung“).

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„Bärchen“ war Sängerin Annette Simons, die „Milchbubis“ waren ihre damals drei Begleiter, alle um die 20 oder weniger Jahre alt, am Standard-Instrumentarium Gitarre-Bass-Schlagzeug. Eine reguläre LP – „Dann macht es Bumm“, 1981 – und eine EP haben Bärchen und die Milchbubis in ihrem ersten Leben veröffentlicht. Schon 1983 lösten sie sich, obwohl in der Musikpresse überwiegend wohlwollend beurteilt, auf.

Comeback als Trio

Eine 2021 bei Tapete Records veröffentlichte, um Cover-Versionen, Live-Fassungen und ein paar vordem unveröffentlichte Songs bereicherte Kompilation ihres alten Materials suggerierte Ambitionen auf ein Comeback, das denn auch prompt in Form erster Reunion-Auftritte in leicht veränderter Trio-Formation vollzogen wurde: Sängerin Simons bedient mittlerweile auch die Gitarre, Ur-Milchbubi Kai Nungesser werkt wieder an Bass und Mikro; neu an Bord ist Schlagzeuger Markus Joseph. Nun gibt‘s also, 43 Jahre nach dem LP-Debüt, das zweite abendfüllende Album von Bärchen und die Milchbubis.

Es ist (doch) nicht mehr 1980

Es gibt ein Leben nach der NDW: Sängerin Annette Simons. Foto: Laila Frühsorger

Bärchen und die Milchbubis tun natürlich nicht wirklich so, als wäre noch 1980. Und das ist auch sehr gut so. Etwa, wenn Simons eine Breitseite gegen „Mansplainer“ abfeuert: Die Welterklärer, die sich in ihrer omnipotenten Allwissenheit unglaublich beeindruckend finden. „Ich will nicht wissen, wie du heißt / ich will nicht wissen, was du weißt / ich will nicht wissen, wie du aussiehst / wenn du deine Hose ausziehst / quatsch mich nicht an / lass mich in Ruh´/ text mich nicht voll / vielleicht hörst du mir mal zu.“ Gegen toxische Männlichkeit geht es auch in „Tantragott + Tinderhengst“ handfest zur Sache: „Sollte ich dich wiedersehen / gibt es keine Garantie / vielleicht schneid´ ich dir die Eier ab oder nutz Schwarze Magie“.

Bei all solchen Reflexionen unliebsamer Zeiterscheinungen schlagen doch auch immer wieder bewährte Gewohnheiten durch: In der „Lokalrunde“ etwa, und, als Erste Hilfe gegen den anschließenden Heißhunger, an der Frittenbude in „Fett“. In „Happy Bonbon“ paart sich Hedonismus mit einer Ode an die Jahresringe: „Ich bin alt und ich darf alles – rauchen, saufen, alles: Ich bin alt! “.

Wenn das Alter nicht nur inhaltlich, sondern auch formal reflektiert wird, kann „Die Rückkehr des Bumm!“ mit regelrecht ergreifenden Momenten aufwarten. Da ist zum einen das angeraute Timbre, das Simons Stimme einen lebensweisen, sporadisch fast schmerzlichen Unterton verleiht. Da kann zum anderen eine gewisse Raffinesse aufblitzen, in der sich Erfahrung und Entwicklungsprozesse spiegeln. Besonders spürbar wird das in einer über zwei Songs verlaufenden Passage mit angezogener Tempobremse: An deren Anfang steht ein kurzes Instrumental, in dem Simons mit der Gitarre das berühmte Leitmotiv der „Bittersweet Symphony“ von The Verve zitiert. In abgewandelter Form wird dieses gleich wieder aufgenommen und trägt die nachfolgende, eher düster-abstrakte Ballade „Geister“.

Wehmütige Erinnerungen an die Zeit der Jugend weckt der gleichfalls sehr getragene Abschlusssong „Blondie“. Auch wenn da am Ende mit „back to the future in den 80ern“ ein idealisiertes Trugbild gezeichnet wird, macht es einigermaßen schmerzhaft bewusst, dass Altern doch nicht immer ganz so lustig ist.

Bärchen und die Milchbubis anno 2024. Foto: Kevin Winiker

Bärchen und die Milchbubis

Bärchen und die Milchbubis: Die Rückkehr des Bumm! (Tapete Records)

„Die Rückkehr des Bumm!" spricht das regressive, innovationsmüde Element in uns an: Ein Sich-Gehen-Lassen für 33 Minuten.